Ein Termin folgte auf den anderen: ÖJV-Vorstandssitzung in Gmunden, Podiumsdiskussion im Parlament, Mediengespräch mit Aaron Fara bei der Sporthilfe und IJF-Referee- und Coaches-Seminar in Istanbul. ÖJV-Präsident und EJU-Generalsekretär Martin Poiger, zweifacher Familienvater, hatte in den letzten Tagen ein dichtes Programm. Bevor er in die Weihnachtspause geht, nahm sich der gebürtige Burgenländer noch Zeit für eine kurze Rückschau bzw. einen Ausblick auf 2025.
Wie sieht deine persönliche Bilanz 2024 aus bzw. wie zufrieden darf Judo Austria mit dem abgelaufenen Olympia-Jahr sein?
Martin Poiger: „Ich glaube, wir dürfen stolz, sehr stolz sein. Dafür kann ich mich nur ganz herzlich bei allen Aktiven, Trainern, Mitarbeiter:innen, Funktionären und Kampfrichter:innen für ihren unermüdlichen Einsatz danken. Wir haben nach Tokio 2021 jetzt auch in Paris wieder eine Medaille geholt, das kann sich sehen lassen. Wir sind damit einer von nur drei Sportfachverbänden in Österreich, die bei Olympia angeschrieben haben. Michaela Polleres wird, sofern sie gesund bleibt, auch 2028 mit dabei sein. Sie ist im Mittelgewicht, bis 70 kg, aktuell auf Weltranglisten-Platz drei zu finden, hat schon Olympia-, WM- und EM-Medaillen gewonnen, hält bei drei Grand-Slam-Siegen bzw. einem Masters-Titel. Sie ist die erste ÖJV-Athletin, die bei zwei Olympischen Spielen hintereinander Medaillen gewinnen konnte und sie wird unseren Top-Kader, sofern sie gesund bleibt, in den nächsten Olympia-Zyklus führen – auch als Vorbild abseits der Matte. Mit ihren zwei Medaillen ist Michi auch die zweiterfolgreichste Sommersportlerin aller Zeiten, nur Fechterin Ellen Müller-Preis war mit 1 x Gold, 2 x Bronze bei drei Olympia-Teilnahmen noch erfolgreicher. Dazu kommt: Michi ist völlig normal geblieben und geht sehr demütig mit ihren Erfolgen um. Das ist alles andere als selbstverständlich.“
Allgemeiner formuliert: Macht Olympia-Bronze schon die halbe Miete aus Verbandssicht aus?
Poiger: „Michis Olympia-Bronzemedaille und der 3. EM-Rang von Shamil Borchashvili garantieren uns hohe Fördergelder. Das erlaubt uns ein Sport-Budget, das alle Voraussetzungen für Spitzenleistungen schafft. Aber Michi und Shamil sind längst nicht mehr die einzigen Erfolgsgaranten. Auch die Resultate von Lubjana Piovesana sind top: Sie hat sich innerhalb von zwei Jahren in der absoluten Weltklasse bis 63 kg etabliert, rangiert derzeit im IJF-Ranking auf Platz sechs. Lulu hat heuer zwei Grand-Slam-Goldmedaillen gewonnen, dazu bei EM, WM und Olympia jeweils einen fünften Platz zu Buche stehen. Was ihr jetzt noch zum absoluten Glück fehlt, sind Medaillen bei Großereignissen. Aber das ist nur eine Frage der Zeit. Es ist bemerkenswert, wie schnell diese Entwicklung vonstatten ging – Kompliment! Ähnlich überraschend kam auch unsere Qualifikation für den Mixed-Team-Bewerb. Zur Einordnung: In Paris waren nicht weniger als 122 Judo-Nationen am Start, ganze 19 Länder waren im Mixed-Team-Bewerb am Start und wir mittendrin. Dazu kann man den Aktiven und unserem Betreuerstab rund um Sportdirektor Markus Moser und Headcoach Yvonne Snir-Bönisch nur gratulieren.“
Im Nachwuchs-Bereich hat Elena Dengg ihre Erfolgsserie prolongiert und mit Junioren-WM-Gold in Dushanbe vorläufig gekrönt… Ist Elena eine ähnliche Karriere wie Michi oder Lubjana zuzutrauen?
Poiger: „Elenas Triumph ist der vierte Junioren-WM-Titel für Österreich. Sie produziert im Nachwuchsbereich Medaillen am Fließband. Das ist beeindruckend. Bei den Senioren ist sie – auch durch die Punkte für den Junioren-WM-Titel – bereits auf Platz 40 der Weltrangliste zu finden. Sie bringt alle Voraussetzungen mit. Aber Wunderdinge darf man sich 2025 noch nicht erwarten. Elena hatte zuletzt viele Verletzungen und Rückschläge zu überwinden, wichtig wird sein, dass sie diese Pechserie abschüttelt.“
Finanziell geht’s dem Judoverband – aufgrund der konstanten Erfolge der letzten fünf Jahre – durchaus gut. Wie steht der ÖJV generell da?
Poiger: „Ich freue mich im Namen meines Vorstandsteams, dass wir für weitere vier Jahre das Vertrauen bekommen haben. Wir haben in den letzten vier Jahren vieles richtig gemacht, trotz teils großer Herausforderungen. Im Jahr 2024 haben wir punkto Judo-Lizenzen endlich das Vor-Corona-Niveau erreicht. Jetzt geht es in den nächsten Jahren darum, Schritt für Schritt der 20.000-Lizenzen-Marke näher zu kommen.“
Mit welchen Gefühlen siehst du dem kommenden Jahr entgegen?
Poiger: „Es sind gemischte Gefühle: Mit dem Karriere-Ende von Wachid Borchashvili und dem Aus von Aaron Fara verlieren wir zwei erfolgreiche Athleten. Diese Lücken gilt es langsam zu schließen. Wir wollen 2025 bei der WM wieder Medaillen holen und für 2028 rund um Michaela Polleres und Lubjana Piovesana ein konkurrenzfähiges Team formen. Bei drei Spielen in Folge im Medaillenspiegel anzuschreiben, ist dem ÖJV noch nie gelungen. Das wollen wir diesmal schaffen. Auch der Heim-Grand-Prix in Linz soll weiter wachsen und zu einem Fixpunkt auf der IJF-Worldtour aufsteigen. Im Nachwuchs gilt es, noch mehr Junge an die Senioren-Klasse heranzuführen. In der U-23- und U-18-Kategorie haben wir bei den letzten Großereignissen keine Medaillen errungen. Das sollte aber unser Anspruch sein. Wir arbeiten auch schon intensiv an unserer (langfristigen) Verbandsstrategie bis 2032, wo wir neben der weiteren Optimierung im Hochleistungsbereich noch stärker den Breitensport fördern und die Serviceleistungen für unsere Vereine weiter verbessern wollen.“