Auf der offiziellen Website der Europäischen Judo Union (www.eju.net) wurde vor Kurzem ein neues Format gelauncht: FRAUEN IM JUDO. Teil zwei der Serie ist ÖJV-Headcoach Yvonne Bönisch gewidmet. Wir bringen einen ins Deutsche übersetzten Auszug des englischsprachigen Textes von Thea Cowen.
Vor 2021 brachte man den Namen Yvonne Bönisch mit ihrem Olympiasieg 2004 in Athen in direkten Zusammenhang. Jetzt, wenn der Name der 41-jährigen Potsdamerin fällt, denken wir an Olympia-Gold und an die Tatsache, dass sie der erste weibliche Headcoach im Judo ist. Die Liste ihrer Erfolge als Athletin und Trainerin kann sich sehen lassen. Es war deshalb keine Überrachung, dass der Österreichische Judoverband alles daran setzte, sie als Frauen-Nationaltrainerin in Israel mit Jahresbeginn 2021 nach Österreich, genauer nach Linz, zu lotsen. Es mag nur ein kleiner, erster Schritt sein, aber mit Yvonne als Premieren-Beispiel sollten auch andere Judo-Nationen nachzudenken beginnen, ob Trainer-Chefposten tatsächlich nur mit Männern besetzt werden können.
Lange bevor von der olympischen Erfolgsgeschichte die Rede war, begann die Judo-Karriere von „Klein Yvonne“ im zarten Alter von sechs Jahren beim Judoclub Ludwigsfelde. Ihr Vater hatte sie dorthin mitgenommen. Am Anfang der „Judo-Reise“ standen zwei Männer mit Namen Axel. Ihr erster Trainer war Axel Schulz, der sie mit dem Judo-Einmaleins vertraut machte und sie dann an Axel Kirchner, Lehrer im Sportinternat, weiterreichte. Letzterer begleitete sie bis zum Karriere-Ende. „Axel war für mich extrem inspirierend und motivierend“, erzählt Yvonne Bönisch. „Er hat mich gelehrt, an mich zu glauben und große Träume und Ziele zu formulieren. Axel arbeitet auch heute noch im Sportinternat und bildet die nächste Judo-Generation aus.“
Kurioserweise wurde die spätere Olympiasiegerin in ihrer Karriere anfangs (im Jugend- und Juniorinnen-Alter) immer übersehen, wenn es darum ging, für den DJB zu internationalen Turnieren entsendet zu werden. Erst in der allgemeine Klasse wurde Nationaltrainer Norbert Littkopf auf sie aufmerksam.
„Er sah etwas Besonderes in mir, hat mich von Anfang an gepusht und mir immer wieder Möglichkeiten gegeben, mich (international) zu beweisen. Norbert hat es geschafft, ein richtig starkes deutsches Frauenteam hervorzubringen. Wir hatten einen unschlagbaren Team-Spirit und zählten bald zur absoluten Weltklasse. Heute als Trainerin tue ich viele Dinge, die er uns damals vorgezeigt hat. Und natürlich ist der Team-Spirit von damals die Benchmark für meine heutigen Mannschaften. Wer sich so gut versteht und gegenseitig pusht, der kann auf lange Sicht nur Erfolg haben.“
Yvonne Bönisch wurde in ihrer gesamten Karriere nie von einer Frau trainiert. „Als Athletin war ich immer nur von männlichen Betreuern und Coaches umgeben – ich kannte nichts anderes. Heute sehe ich, was Frauen im Trainerjob leisten können. „Frauen sind in kritischen Situationen vielleicht sensibler und bedachter, speziell wenn es darum geht, Mädchen oder Frauen zu coachen. Das heißt aber nicht, dass wir gleichzeitig nicht auch stark und streng bzw. fordernd sein können. Das eine schließt das andere nicht aus.“
Den Frauen-Nationaltrainer-Job in Israel bekam sie wegen ihrer Erfolge als Nachwuchstrainerin in Deutschland, nicht ihrer Erfolge als Aktive wegen. „2012 wurde ich Stützpunkttrainerin in Potsdam und habe zusammen mit Axel als Trainer gearbeitet. Dazu hatten wir noch meinen besten Freund, Mario Schindel, im Team. Ende 2016 folgte ich dem Ruf nach Israel. Ich war vier Jahre lang Frauen-Nationaltrainerin unter Shany Hershko. Ich habe in dieser Zeit sehr viel für meine weitere Laufbahn gelernt. Ich kam in eine für mich komplett neue Judo-Welt, von der deutschen in die israelische. Erst durch diesen Auslandsjob, bei dem ich neue Zugänge, Methoden kennenlernte, konnte ich mich für höhere Aufgaben empfehlen. Ich habe mich seit 2009 Schritt für Schritt weiterentwickelt, von der Jugend- zur National- und Cheftrainerin. Ich bin überzeugt, dass es mir weiterhilft, dass ich selbst eine Weltklasse-Athletin war. Ich weiß, was es heißt, extrem hart trainieren und Rückschläge erleiden zu müssen. Ich verstehe die Sprache der Athletinnen und Athleten, kenne ihre Bedürfnisse und Ansprüche.“
Angesprochen auf den neuen ÖJV-Job sagt Yvonne Bönisch: „Es ist eine große Ehre ein Olympia-Team als Trainerin anführen zu dürfen. Diese Herausforderung hat mich gereizt, sonst hätte ich meinen Vertrag in Israel nicht vorzeitig beendet. Aber so eine Chance wollte ich mir nicht entgehen lassen. Ehrlich gesagt habe ich keine Sekunde daran verschwendet, dass ich der erste weibliche Headcoach in der Judo-Szene bin. Das fiel mir erst auf, als ich in Linz zu arbeiten begann und ständig auf dieses Thema angesprochen wurde. Ich liebe meinen (Trainer-) Job. Ich liebe es, Aktive zu besseren Athleten auszubilden, ihnen auf ihrem Karriere-Weg weiterzuhelfen.“
Einen Ratschlag an Trainer-Kolleginnen hat Yvonne Bönisch abschließend auch parat: „Denkt nicht darüber nach, Frauen in einer Männer-Domäne zu sein. Macht, was ihr gerne macht. Gebt euer Bestes und lasst euch nicht verbiegen, bleibt euch selbst treu.“